Was ist Urgetreide?
Im Nahen Osten haben die Menschen schon vor 10.000 Jahren begonnen, Urgetreide wie Einkorn oder Emmer anzubauen. Anfänglich wurden Gräser in Kultur genommen: Wildes Einkorn und Wildemmer, beides Gräser aus der Gattung Weizen. Wildemmer ist auch die Urform unseres heutigen Kulturweizens.
Emmer und Einkorn zählen zu den Spelzweizen. Das heißt, ihre Körner sind – im Gegensatz zum heutigen Kulturweizen – nach dem Dreschen noch von den Spelzen umgeben, die eine Schutzhülle um das Korn bilden. Auch Dinkel ist ein Spelzweizen. Heute weiß man aber, dass der europäische Dinkel erst relativ spät aus Weizen entstanden ist.
Urgetreide war seit Beginn der Ackerbaukultur im Nahen Osten ein wichtiges Grundnahrungsmittel, lange bevor es die kultivierten Formen des sogenannten Nacktweizens gab. Aus den Körnern von Emmer und Einkorn fertigten unsere Vorfahren Fladen und Getreidebrei, den sie mit wilden Früchten süßten.
Wie ist aus Urgetreide Weizen entstanden?
Einkorn ist eine der ältesten Urgetreidearten der Welt. Das zierliche Einkorn hat sehr zarte Halme und begrannte, flache Ähren mit vielen Ährchen, die wechselseitig wie bei Weizen und Roggen an der Ährenspindel sitzen, aber jeweils nur ein Korn tragen. Daher hat das Urgetreide auch seinen Namen: "Einkorn". Emmer ist kräftiger und hat zwei Körner je Ährchen, so wie auch der Dinkel.
Begonnen hat die Getreidekultur allerdings mit Wildeinkorn, Wildemmer und auch Wildgerste. Das sind Gräser, die die Menschen geerntet und selbst wieder ausgesät haben. Zu ernten ist allerdings nicht einfach, denn sobald die Körner reif werden, werden die Ährchen mit den Körnern abgeworfen und liegen am Boden. Es hat Jahrtausende gedauert bis in den archäologischen Fundstätten überall Kulturgetreide gefunden wurden, also Pflanzen mit Ähren, die bei der Reife nicht von selbst zerfallen und gut geerntet werden können.
Wildemmer hat sich schon vor der menschlichen Kultur aus Wildeinkorn und einem nah verwandten Gras gebildet. Der Kultur-Emmer hat später nochmal einen Entwicklungsschritt gemacht: er wurde „freidreschend“, d. h. beim Dreschen bleiben die Körner nicht mehr im Spelz eingeschlossen. So entstand der Hartweizen und andere nah verwandten Weizenarten, wie der auch nördlich der Alpen angebaute Rauweizen. Vom gewöhnlichen Weizen, dem Weichweizen, gibt es keine Wildform. Wahrscheinlich auf der Entwicklungsstufe eines frühen freidreschenden Hartweizens hat sich nochmal ein weizenverwandtes Gras damit vereinigt. So entstand nun – zusammengesetzt aus ursprünglich drei Grasarten – der sehr formenreiche Weizen, der sich aber erst seit der Römerzeit über weite Teile der Erde ausbreiten konnte. Bis dahin war Emmer das Hauptgetreide, zum Beispiel auch im alten Ägypten.
Möglicherweise durch eine Rückkreuzung mit Emmer entstand schließlich der europäische Dinkel. Dieser „moderne“ Spelzweizen lässt sich mit dem Weizen problemlos kreuzen, was heute genutzt wird, um ertragreichere Dinkel mit kurzem Stroh zu züchten. Oft wird auch Dinkel unrichtigerweise als Urgetreide bezeichnet, eben weil er als Spelzweizen Ähnlichkeiten mit Emmer und Einkorn hat, und zumindest die älteren Sorten auch magere Böden bevorzugen. Die Entwicklungsschritte vom Wildemmer bis zum heutigen Weizen waren nur möglich durch die Kulturtätigkeit des Menschen. Konsequente Kreuzungszüchtung im heutigen Sinne gab es aber erst nach 1900, als die Mendelschen Regeln der Vererbung wiederentdeckt worden waren. Ob der Mensch die frühen Entwicklungsschritte bewusst und gezielt beeinflusst hat, ist nicht überliefert.
Quelle: Dr. Bertold Heyden, Keyserlingk-Institut, www.saatgut-forschung.de
Die Entwicklung von Einkorn, Emmer und Dinkel im Überblick
Wild-Einkorn |
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Kultur-Einkorn |
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Wilder Emmer |
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Kultur-Emmer |
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Hartweizen |
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Weichweizen |
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Dinkel |
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Was ist der Unterschied zwischen Urgetreide und unserem heutigen Weizen?
Dinkel, Emmer und Einkorn werden auch heute noch angebaut. Sie bringen allerdings im Vergleich zu Weizen geringe Erträge und ihre Verarbeitung ist wesentlich aufwändiger. Urgetreide muss als Spelzgetreide nach dem Dreschen in einem weiteren Arbeitsschritt entspelzt werden. Dabei geht immer etwas vom Korn verloren. Die Spelze, die das Korn umgibt, bringt allerdings auch Vorteile. Sie schützt das Urgetreide vor Schadstoffen aus der Luft und anderen Umwelteinflüssen. Außerdem vertragen diese Pflanzen keine starke Düngung und sind deshalb weniger anfällig für Pilzkrankheiten.
Wegen der recht geringen Nährstoffansprüche eignet sich das Urgetreide für den ökologischen Landbau, auch dort, wo Weizenanbau nicht möglich wäre. Auch die älteren hochwüchsigen Dinkelsorten sind entsprechend nur im ökologischen Landbau geeignet. Durch den geringeren Ertrag dieser Spelzweizen werden aber ein relativ hoher Eiweißgehalt erzielt und zum Beispiel auch höhere Konzentrationen von Spurenelementen. Auch der hohe Wuchs kann als Qualitätsmerkmal gelten, denn man kann annehmen, dass diese ursprüngliche Vitalität im Wachstum auch Bedeutung für die daraus hergestellten Produkte hat.